Worauf kam es euch bei der Verlagerung in das digitale Medium an? Welche Qualitäten wolltest du aus der analogen Welt unbedingt mitnehmen?
Wir betrachten alles, was wir tun, aus der Kunden-Perspektive, das ist mir sehr wichtig. Bei internen HR-Prozessen geht es um die Perspektive der Mitarbeiter und Führungskräfte, beim Recruitment um alle, die sich für einen Arbeitsplatz bei CENIT interessieren. Wir hören hin, was da draußen gefragt ist.
Mit dieser Denke sind wir an das digitale Bewerberzimmer gegangen. Konkret heißt das zum Beispiel, dass wir beide Seiten gleichermaßen für die Technologie und die soziale Situation eines Webmeetings mit Kamera befähigen müssen.
Welche Unterstützung bietet ihr an?
Intern haben wir die Fachabteilungen frühzeitig für diese neue Art der Stellenbesetzung weitergebildet. Eine offene, klare und positive Kommunikation schafft Vertrauen.
Die Bewerber erhalten mit der Einladung eine Frage-Antwort-Übersicht als Einführung zum Thema. Sie wissen, an wen sie sich bei technischen Fragen wenden können. Es ist ein Leitfaden mit praktischen Tipps beigelegt, wie die Erinnerung, sich ein Glas Wasser bereit zu stellen. Bei Bedarf senden wir auch leihweise Kameras mit – natürlich desinfiziert!
Um einer möglichen Unsicherheit was die Technik angeht von vornherein entgegenzuwirken, geben wir allen Beteiligten mit: Wir gehen davon aus, dass vom Internetanschluss bis zur Webmeeting-Software alle Komponenten funktionieren. Es kann aber nun mal einfach sein, dass etwas nicht funktioniert – keine Sorge, das geht uns allen gleich.
Und wenn es im Termin dann tatsächlich irgendwo klemmt? Der Rechner tut nicht oder das Kind stürmt ins Zimmer?
In dem Augenblick, wo wir darüber reden, ist alles ganz einfach. Umgekehrt, wird es ganz arg schwierig, wenn wir uns zwar alle etwas denken, das aber nicht aussprechen.
Also gehen wir aktiv darauf zu, wenn beim Bewerber die Katze durchs Bild läuft oder die Waschmaschine piepst. Niemand kann diese Umstände 100 Prozent absichern und das machen wir transparent. Unsere Botschaft lautet: Es ist weder in Ihrer noch in unserer Macht, ob die Kamera funktioniert, ob das Netz stabil bleibt, ob der PC läuft. Es liegt nicht in Ihrer Responsibility. Also fühlen Sie sich bitte nicht verantwortlich!
Von dieser Sorge bin ich als Bewerber also befreit. Gibt es ansonsten eine Erwartungshaltung von CENIT HR, die speziell mit der digitalen Gesprächssituation zusammenhängt?
Nein, digital gilt dasselbe wie analog: Wir möchten den Menschen kennen lernen. Ich erhoffe mir Authentizität, am Bildschirm genau wie in einem Besprechungsraum, da gibt es keinen Unterschied.
Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass das funktioniert. Vom Senior Consultant bis zum Young Professional hatten wir das Gefühl, dass sich die Bewerber auf das Webmeeting einlassen.
Die Authentizität, von der du sprichst, wie vermittelt sich die über eine Kamera? Eine gefilmte Gegenwart ist doch verschieden von der realen Begegnung zwischen Menschen. Wie geht ihr in der Recruiting-Situation damit um?
Lasst uns mal sehen, was bei einem ein Face-to-face-Interview passiert. Während des Gesprächs sammle ich aktiv Eindrücke von meinem Gegenüber. Ich beobachte: Reaktionen, die Körperhaltung, Bewegungen, Ausstrahlung. Da kommen unglaublich viele Mosaik-Stücke aus unterschiedlichen Dimensionen zusammen. Das ist die „alte Welt“.
Im ersten Augenblick muss man sagen, es stimmt natürlich, über das Internet fallen Elemente weg. Also ist es unsere Aufgabe, neue Bausteine zu suchen. Das Fühlen und die Empathie im Raum müssen wir jetzt digitalisieren.
Und wenn man sich darauf einlässt, stellt man fest: Über den digitalen Weg lerne ich etwas vom Bewerber, das früher nicht präsent war. Ich erhalte einen Eindruck vom privaten Umfeld. Ich erlebe, wie sich jemand dort verhält.
Wenn du das übereinander legst, wirst du sehen, dass es in der alten Welt etwas gab, das es in der neuen Welt nicht mehr gibt. In der neuen Welt gibt's etwas, das es in der alten Welt nicht gab. Meine Hypothese ist: Ich habe ein Match von hundert Prozent! Vielleicht brauchen wir ein Gespräch mehr als in der Vergangenheit, aber ich habe die Chance, den Bewerber ganz anders als bisher wahrzunehmen.
Im Team von CENIT HR habt ihr Recruiting-Profis, für unsere Business-Bereiche ist so eine Interview-Situation eine Gelegenheitsaufgabe. Wie haben die Stakeholder auf die Neuerung reagiert? Wie habt ihr die abgeholt, die lieber wollen, dass alles beim Alten bleibt?
Durch direkte Kommunikation, indem wir uns der Kritik stellen und versuchen zu überzeugen. Das haben wir gemacht und waren damit erfolgreich. Wir werden auch weiter so transparent vorgehen. Wir monitoren die Ergebnisse und werden entsprechend nachsteuern, wo das notwendig ist.
Wir sind alle gemeinsam von diesem Wandel betroffen. Die Digitalisierung fordert uns! Wenn ich bei mir selbst, in meinem Team und in den Fachbereichen auf Lerneffekte stoße, freut mich das immer wieder. Nach einem digitalen Bewerbungsgespräch sagte neulich ein CENIT Manager zu mir: „Ich nehme hier ganz viel für meine Aufgabe mit, Teams virtuell zu führen, die im Homeoffice sind.“ Das ist doch toll!
Welches Potential siehst du im digitalen Bewerbungsgespräch für die CENIT? Was sind die nächsten Schritte?
Da der Pilot in Deutschland erfolgreich ist, bieten wir unseren internationalen Standorten an, das Programm zu übernehmen. Das HR-Team vor Ort entscheidet selbst, ob das zu den Umgangsformen im Land passt oder nicht.
Hier bei uns haben wir den nächsten Schritt schon gemacht: wir werden die Assessment Center für Azubis und Duale Studenten auf ein digitales Format umstellen.
Abschließend die Frage, welche Erfahrungen nimmst du aus diesem Projekt für die nächsten Digitalisierungsaufgaben mit?
Du kannst das alles digitalisieren, du musst nur eine gewisse Kreativität walten lassen. Weil ich etwas nicht anfassen kann, ist es doch nicht weniger real! Es gilt, die Barrieren im Kopf zu durchbrechen! Und du musst die Beteiligten für den nächsten Schritt befähigen.
Vielen Dank für das Gespräch, Tobias!