Künstliche Intelligenz – und menschliches Wissen

ISR Vorstand André Vogt und KI-Experte René Weseler blicken auf KI & Co.

Veröffentlicht 15.10.2024

Ein Gespräch über die Potenziale von Künstlicher Intelligenz, ihre Regulierung – und über die Vorteile, die ein sinnhafter Einsatz von KI für Unternehmen stiften kann.

Künstliche Intelligenz – und menschliches Wissen

René, Sie sind einer der Experten für Künstliche Intelligenz bei CENITs Tochterunternehmen ISR, beschäftigen sich mit diesem Thema seit 2013 und engagieren sich in KI-Gremien. Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus der Gremien-Arbeit für das Business und Ihre Kunden?

René: Im „Wirtschaftsrat in der Bundesfachkommission für Künstliche Intelligenz und Wertschöpfung 4.0“, einem der Gremien, in denen ich Mitglied sein darf, treffen uns viermal im Jahr, um die Auswirkungen von KI auf Gesellschaft, Politik und Gesetzgebung zu diskutieren. In diesen Sitzungen geht es darum, KI aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und Empfehlungen für die Gesetzgebung zu erarbeiten. Als ISR und CENIT erhalten wir damit eine großartige Gelegenheit, uns mit Politikern und Wissenschaftlern auszutauschen und Innovationen sowie strategische Rahmenlinien frühzeitig in unserem Handeln und unseren Lösungen zu implementieren.

Zu aktuellen Themen unserer Gremienarbeit zählt die Diskussionen über die technologischen, ethischen und gesellschaftlichen Implikationen von KI. Im Wirtschaftrat versuchen wir gemeinsam, einen Rahmen zu schaffen, der Innovation fördert, aber gleichzeitig sicherstellt, dass KI verantwortungsvoll eingesetzt wird.
 

KI und ihr weiterer Weg – ein seit Längerem spannendes Feld. André, wie sehen Sie als Vorstand der ISR und Experte auf dem Feld Enterprise Information Management die aktuelle Entwicklung von KI in Deutschland?

André: Betrachtet man Entwicklungen, wie das Wirtschaftswachstum in Deutschland oder auch die aktuelle Unsicherheit in der Industrie, so ist es keine Phase, in der es immer höher, schneller, weiter geht. Vielfach stehen Effizienz neben Kostenreduktion auf der Agenda von Unternehmen. Vor diesem Hintergrund sehe ich bei klaren, fokussierten KI-Lösungen und Modellen mit konkretem Businessnutzen das höchste Potenzial. Automatisierung mit KI könnte also eines der Themen sein. Hier beispielsweise die Frage: Wie lang kann eine Prozesskette automatisiert werden?

Speziell im Dokumentenmanagement stehen für mich insbesondere die Felder Erkennung und der Input Management im Fokus. Damit meine ich Fragestellungen, wie: „Was passiert mit dem einem von der KI ausgelesenen Ergebnis? Wie wird dieses Ergebnis weiterverarbeitet? Und welche Potenziale realisiert man, wenn man das Ergebnis mit anderen Informationen kombiniert?

André Vogt
Senior Vice President Enterprise Information Management CENIT, Sprecher des Vorstands ISR AG

Ein Beispiel wäre ein Business Case, das ich auch privat gerne beobachte: Ein volldigitaler Versicherungsdienstleister, der bereits aktiv am Markt ist. Und wenn man bedenkt, welche Teilprozesse hier schon vollautomatisiert möglich sind, ist das definitiv beeindruckend. Da ist sicher eine der Zielrichtungen, in die sich zahlreiche Unternehmen entwickeln werden. Eine Entwicklung, die auch wir aufnehmen werden. Denn ich glaube, dass das tatsächlich auch eine der Antworten auf die Herausforderungen der heutigen Zeit ist.
 

Die aktuellen Diskussionen in Wirtschaft und Gesellschaft drehen sich oft darum, wie wir in Europa und Deutschland im Bereich KI erfolgreich sein können – ohne uns von den aktuellen Vorreitern, wie den USA, abhängen zu lassen. Sind wir in Deutschland noch zu wenig innovativ, was KI angeht?

René: Ich sehe das differenzierter. Es gibt im gesamten Bundesgebiet viele Initiativen und starke KI-Kompetenzzentren, die hervorragende Arbeit leisten. Beispiele sind große Einheiten wie das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Kaiserslautern oder das Munich Center for Machine Learning. Aber auch Kleinere, wie die Kompetenzplattform KI.NRW, die sich intensiv mit Machine Learning und Textanalyse beschäftigt. Diese Think Tanks sind oft eng mit Universitäten und Forschungseinrichtungen vernetzt und leisten einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der KI-Technologie in Deutschland, und zwar in sämtlichen relevanten Wirtschaftszweigen.
 

Wenn man den Blick von den Forschungseinrichtungen hin zu KI-Unternehmen und Start-ups lenkt: Was sind die größten Herausforderungen, die eine noch zügigere Entwicklung der KI in Deutschland hemmen?

René: Eine der größten Herausforderungen ist die noch lahmende Förderkultur. In den USA finden Startups schnell Investoren, während man in Deutschland oft lange pitchen muss. Teilweise fehlt es an Erfolgsbeispielen, die Investoren ermutigen könnten. Wir müssen das Mindset ändern und mehr in Innovationen investieren. Zulegen könnten wir auch im Bereich Skalierungsförderung: Startups brauchen nach den ersten Erfolgen weitere Finanzierungsrunden, um wirklich groß zu werden. Hier fehlt es oft an Unterstützung.

Zweifellos, es gibt Förderprogramme. Aber die Summen sind oft nicht ausreichend, um wirklich große Schritte zu erlauben. In den USA ist die Kultur eine andere: Dort wird viel mehr in die Breite investiert, auch wenn das Risiko hoch ist. Diese Risikobereitschaft fehlt in Deutschland oft.
 

Wie bewerten Sie den AI Act der EU, der im August Kraft trat und das Thema Künstliche Intelligenz für Unternehmen reguliert, aber auch komplexer macht?

René: Der AI Act zielt darauf ab, die Bevölkerung vor unkontrollierter KI zu schützen. Es geht nicht primär darum, Innovationen zu fördern, sondern sicherzustellen, dass KI-Systeme transparent und ethisch korrekt arbeiten und auch verantwortungsvoll eingesetzt werden. Das ist wichtig, um Vertrauen in KI zu schaffen und Missbrauch zu verhindern, insbesondere, wenn es um Hochrisikoanwendungen geht, die tief in das Leben der Menschen eingreifen können.

Ein Beispiel ist die Kreditvergabe: Wenn eine KI entscheidet, ob jemand einen Kredit bekommt, muss nachvollziehbar sein, auf welcher Grundlage diese Entscheidung getroffen wurde. Das ist oft schwierig, weil KI-Modelle komplex und nicht immer transparent sind. Der AI Act versucht, hier klare Regeln zu schaffen, um solche Entscheidungen nachvollziehbar und fair zu machen.

Ich halte es daher für sehr wahrscheinlich, dass wir in den nächsten Jahren neben den großen allgemeinen KI-Lösungen und neben den großen Sprachmodellen auch viele kleine spezialisierte Lösungen mit hohem Vertrauenswert finden werden. Das Schlüsselwort heißt an der Stelle Trusted AI. Aktuell befinden wir uns in der ersten Umsetzungsphase des AI Acts. Und da gibt es noch ganz Fragezeichen.

René Weseler
Senior Executive Manager Buildsimple, Mitglied des Wirtschaftsrates und der Bundesfachkommission für Künstliche Intelligenz

André, wie sehen Sie die Auswirkungen des AI Act auf Unternehmen?

André: Der AI Act wird Unternehmen nicht selten vor Herausforderungen stellen, da sie ihre KI-Systeme nun genau prüfen und kategorisieren müssen. Es gibt aber Experten, die Unternehmen dabei unterstützen, ihre Systeme zu bewerten und sicherzustellen, dass sie den Anforderungen entsprechen.

Wichtig ist, dass Unternehmen transparent arbeiten und die Herkunft ihrer Daten und die Funktionsweise ihrer KI-Modelle offenlegen. Das bedeutet, dass Unternehmen genau dokumentieren müssen, welche Daten sie verwenden und wie ihre Modelle trainiert wurden. Das kann aufwendig sein, ist aber notwendig, um Vertrauen zu schaffen. Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass sie mehr Ressourcen in die Dokumentation und Überprüfung ihrer KI-Systeme investieren müssen. Das kann gerade für kleinere Unternehmen, die nicht über die gleichen Ressourcen wie große Konzerne verfügen, eine Herausforderung sein.

Als Anbieter einer KI Lösung haben wir vor zwei Jahren schon damit begonnen, entsprechende Mechanismen vorzusehen. Wir sind natürlich noch nicht soweit, dass wir 100 prozentig alle Entscheidungen des Systems begründen können. Das ist ein schwieriges Handlungsfeld. Aber wir können zumindest komplette Transparenz in die Trainingsaspekte geben – und das ist schon mal die halbe Miete. Wenn man nachweisen kann, welcher Input ins System eingeflossen ist, kann man meist vorhersagen, warum bestimmte Ergebnisse entstehen.
 

René, die gerade angesprochene, führende KI-Lösung der ISR ist „Buildsimple“ – eine Cloud-Plattform, die sich auf die intelligente Dokumentenverarbeitung spezialisiert hat. Sie nutzt künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen, um unstrukturierte Informationen in strukturierte Daten umzuwandeln. Wie sehen Sie die Zukunft von Buildsimple vor dem Hintergrund der KI-Entwicklung in Deutschland?

René: Wir starteten unsere Lösung im Jahr 2017 mit einem Fokus auf die Finanzdienstleistungsbranche. Nun arbeiten wir daran, leistungsstarke Foundation-Modelle für verschiedene Branchen zu entwickeln und unser Leistungsportfolio kontinuierlich zu erweitern. Unser Ziel ist es, KI-Lösungen zu bieten, die effizient und vertrauenswürdig sind. Wir wollen uns dabei nicht nur auf die intelligente Dokumentenanalyse beschränken, sondern auch andere Handlungsfelder erschließen.

Die nächste Evolutionsstufe wird in Richtung Intelligent Content Processing gehen, wo wir nicht nur Dokumente, sondern auch andere Inhalte analysieren und verarbeiten und aus der Analyse von Segmenten Prolongationen in die Zukunft ableiten und prädiktiv Aussagen unterstützen können.

Langfristig möchten wir mit Buildsimple eine Plattform schaffen, die es Unternehmen ermöglicht, ihre gesamten Dokumentenprozesse zu automatisieren und zu optimieren.

René Weseler
Senior Executive Manager Buildsimple, Mitglied des Wirtschaftsrates und der Bundesfachkommission für Künstliche Intelligenz

Vor dem Hintergrund von Themen wie Effizienz, ROI und Nachhaltigkeit: Wie halten Sie es mit den Kosten für Ihre KI-Lösung?

René: Die Entwicklung und der Betrieb von KI-Modellen erfordern, besonders bei großen KI-Modellen, erhebliche Rechenleistung und können teuer sein. Wir haben Buildsimple von Anfang an so entwickelt, dass die Lösung skalierbar ist und die Kosten im Verhältnis zum Nutzen stehen.

Wir nutzen die Cloud-Infrastruktur von AWS, die es uns ermöglicht, flexibel auf die Bedürfnisse unserer Kunden zu reagieren. Wenn ein Kunde plötzlich mehrere Millionen von Dokumenten analysieren möchte, kann unser System diese problemlos verarbeiten und skaliert automatisch nach oben und unten. Plakativ gesagt, profitiert ein kleines Unternehmen von unserer Lösung, genauso wie ein Weltkonzern.
 

Wie viele KI-Modelle verwalten Sie derzeit bei Buildsimple?

René: Aktuell verwalten wir mehr als 1.500 KI-Modelle. Diese Modelle sind hochspezialisiert und auf die Bedürfnisse unserer Kunden zugeschnitten.

Ein Aspekt, auf den wir – zugegeben – stolz sind: Unsere Modelle sind darauf ausgelegt, mit minimalem Trainingseinsatz maximale Ergebnisse zu liefern. Oft reichen schon wenige Beispiele aus, um hervorragende Ergebnisse zu erzielen. Das ist ein großer Vorteil, da es den Aufwand für unsere Kunden erheblich reduziert und die Implementierung von KI-Lösungen beschleunigt.

Das Handlungsfeld rund um Generative KI ermöglicht zudem noch einmal komplett neue Möglichkeiten.
 

Wie bewerten Sie die langfristige Perspektive für KI in der Dokumentenlogistik und darüber hinaus?

André: Wir erleben gerade, dass in hoher Frequenz viele Large Language Modelle auf den Markt kommen. Das ist damit begründet ist, dass es einen Technologiesprung gab – durch die sogenannten Transformer Modelle, die es ermöglichen, mit großen Datenmengen überhaupt wirtschaftlich solche Modelle zu rechnen. Das war bis vor wenigen Jahren nicht möglich.

Die langfristige Perspektive sehe ich in der Automatisierung und Effizienzsteigerung. Wir müssen uns darauf konzentrieren, Prozesse zu optimieren und den Menschen von repetitiven Aufgaben zu entlasten. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass KI-Systeme transparent und korrekt arbeiten. Es ist wichtig, dass wir die richtige Balance finden zwischen Innovation und Verantwortung. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Integration von KI in bestehende Systeme.

Wichtig ist bei alldem, dass KI ein starker Enabler ist, aber keine Entmenschlichung von Prozessen bedingt. Das ist etwas, das wir bei unserer Lösung im Blick haben – und woran ich allgemein appelliere.

André Vogt
Senior Vice President Enterprise Information Management CENIT, Sprecher des Vorstands ISR AG

Vielen Dank, René und André, für dieses aufschlussreiche Gespräch. KI ist ein facettenreiches Thema, das wir auch weiterhin gemeinsam beleuchten wollen.

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