Welche Informationen synchronisieren wir zwischen 3DEXPERIENCE und dem ERP?

Veröffentlicht 06.12.2022

Es ist heute unstrittig, dass das Product Lifecycle Management und die operativen Geschäftsprozesse eines Unternehmens miteinander verknüpft werden sollten, um die Zusammenarbeit zu verbessern und die digitale Kontinuität des Informationsflusses zu gewährleisten. Wenn dies so offenkundig ist, warum stellt die Integration von PLM und ERP dann immer noch eine große Herausforderung dar? Im heutigen Artikel werden wir uns verschiedene Anwendungsfälle und ihre Besonderheiten genauer ansehen, um das am besten geeignete Integrationskonzept für unterschiedliche Geschäftsprozesse und Produktportfolios zu finden.

Redaktionsleitung
Dipl.-Ing. Nicole Meyer
Dipl.-Ing. Nicole Meyer
Senior Consulting 3DS-PLM | Redakteurin 3DS-PLM Technisches Magazin
Autor*in
Harald Beinhauer
Harald Beinhauer
Director Strategic Business Development

Die Synchronisationspunkte für eine nahtlose Integration 

Im heutigen Artikel betrachten wir verschiedene Synchronisationszeitpunkte im Produktentstehungsprozess und die jeweils zu übertragenden Informationen zwischen 3DEXPERIENCE und einem ERP-System genauer. Eines kann ich vorab schon verraten: Ein allgemeingültiges Konzept gibt es hierfür nicht. Zu unterschiedlich sind in den Unternehmen die herzustellenden Produkte, Geschäftsprozesse und verwendeten Funktionalitäten sowohl auf der PLM- als auch auf der ERP-Seite. Umso wichtiger ist es, die verschiedenen Konzepte und deren Verbesserungspotenziale zu kennen, um sie mit dem eigenen Status quo und den Unternehmenszielen abgleichen zu können.

Welche Synchronisationszeitpunkte unterscheiden wir?

 

1. „EBOM to ERP“ – die CAD-Produktstruktur wird direkt ins ERP-System übertragen

In vielen Unternehmen wird die Produktionsplanung und -steuerung traditionell im ERP-System durchgeführt. Der Produktionsplaner verwendet die Spezifikationen der Einzelteile und der Baugruppenstruktur aus der Entwicklung als Ausgangspunkt für seine Planung. Ein erster Synchronisationspunkt ist daher der formale Abschluss der Produktentwicklung nach Freigabe der Daten. In diesem Fall erhält der Produktionsplaner Informationen zu den Einzelteilen bzw. Komponenten und eine Kopie der Produktstruktur als Engineering Bill of Materials (EBOM) in sein ERP-System übertragen. Alle Produktionsplanungsschritte finden in diesem Fall im ERP-System statt. Als Erstes wird eine Fertigungsstückliste (MBOM) von der EBOM abgeleitet, die entsprechend der Fertigungs- und Montagereihenfolge strukturiert ist. Darauf aufbauend plant der Produktionsplaner die erforderlichen Arbeitsstationen und definiert in Arbeitsplänen die durchzuführenden Arbeitsschritte, bereitzustellenden Komponenten, Betriebsmittel und Ressourcen. Diese Planungsdaten bilden im ERP-System die Grundlage für eine bedarfsgerechte Disposition, Beschaffung und Auslösung von Fertigungsaufträgen.

Alternative Synchronisationspunkte ergeben sich, wenn auch die Produktionsplanung teilweise oder vollständig in der 3DEXPERIENCE-Plattform stattfindet. 

2. „MBOM to ERP“ – die MBOM wird in 3DEXPERIENCE erstellt und anschließend ins ERP-System übertragen

Gerade bei komplexen Produkten mit vielen Bauteilen bietet die visuelle Fertigungsplanung auf Basis der 3D-Geometrie erhebliche Vorteile gegenüber einer tabellenbasierten Planung. Der Arbeitsplaner sieht die Baugruppe und die einzelnen Montageschritte in einer 3D-Ansicht und kann sich so die Abfolge viel besser vorstellen. Auch nachträgliche Auswirkungen von Produktänderungen auf die Produktion lassen sich innerhalb von 3DEXPERIENCE dank der immanenten Änderungshistorie und Verknüpfungen sehr leicht nachvollziehen. 
Der zweite Synchronisationszeitpunkt erfolgt demnach nach der Planung der Montagereihenfolge, und es wird die fertige MBOM inklusive der Einzelteilstammdaten an das ERP-System übertragen – auf Wunsch auch als werksspezifische MBOMs. Auf der ERP-Seite erfolgt weiterhin die Definition der einzelnen Arbeitsgänge sowie der dafür benötigten Betriebsmittel und Ressourcen, da sich diese auch zwischen den Produktionsstandorten unterscheiden können.

3. „Routings to ERP“ – die Arbeitspläne werden in 3DEXPERIENCE erstellt und inklusive MBOM ins ERP-System übertragen

Wird das Produkt mittels aufwändiger Produktionsprozessen hergestellt, wie beispielsweise in der Serienfertigung, oder sollen mehrere Produkte auf der gleichen Produktionslinie gefertigt werden, steigen Komplexität und mögliche Fehlerquellen exponentiell an. Um diese zu bewältigen, kann der Produktionsplaner mit den DELMIA-Funktionen für die digitale Fertigung den gesamten Montageprozess virtuell planen, simulieren und validieren. Das simulierte Zusammenspiel von zu fertigendem Produkt, Montage- und Produktionsanlagen, Betriebsmitteln und Mitarbeitern gibt ihm die nötige Transparenz und Sicherheit, um Arbeitsabläufe, Ressourceneinsatz, Materialfluss, Hallenlayout und Durchlaufzeiten zu optimieren. Für das Werk ergeben sich daraus reduzierte Produktionskosten und Durchlaufzeiten sowie ein beschleunigter Produktionsanlauf.

Der dritte Synchronisationszeitpunkt findet daher nach der vollständigen Produktionsplanung in der 3DEXPERIENCE-Plattform statt. Hierbei werden Bauteilstammdaten, Fertigungsstücklisten und Arbeitspläne an das ERP-System übertragen. Auf der ERP-Seite stehen damit vollständige Informationen für die Terminierung und Fertigungssteuerung zur Verfügung. Dieses Szenario setzt jedoch voraus, dass zum Zeitpunkt der Planung in 3DEXPERIENCE alle relevanten Informationen über die Verfügbarkeit von Betriebsmitteln und sonstigen Ressourcen bekannt sind, um hinterher konsistente Arbeitspläne an das ERP-System übertragen zu können. Daher besteht bei diesem Szenario häufig der Wunsch, auch bestimmte Stamm- und Bewegungsdaten aus dem ERP-System nach 3DEXPERIENCE zu übertragen, wobei insbesondere auf die Einhaltung der Datenhoheit geachtet werden muss.

Beispiele aus der Praxis
Anhand von zwei Praxisbeispielen gehen wir auf die individuellen Rahmenbedingungen dieser Firmen etwas näher ein und stellen die konkrete Implementierung vor. Aus Vertraulichkeitsgründen nennen wir jedoch keine Firmennamen. 

Transfer der Produktstrukturen aus 3DEXPERIENCE On Cloud nach MS Dynamics 365 Finance & Operations

Das erste Unternehmen, das wir betrachten wollen, stellt Anlagen, Artikel und Industriebedarf zur Lebensmittelverpackung und Verarbeitung her. Da sich das Unternehmen erst kürzlich entschieden hat, die 3DEXPERIENCE einzuführen, sollten im ersten Schritt die bestehenden Prozesse auf ERP-Seite möglichst beibehalten werden. 

Das Unternehmen entwickelt seine Teile und Baugruppen mit SOLIDWORKS und verwaltet sie jetzt mithilfe der Direktintegration "Collaborative Designer for SOLIDWORKS" in 3DEXPERIENCE. Das Integrationsszenario setzt daher auf der in 3DEXPERIENCE verwalteten Produktstruktur auf. Nach der Freigabe der Daten in SOLIDWORKS beginnt die automatische Übertragung an Microsoft Dynamics 365 Finance & Operations (F&O), wobei die Struktur als "Engineering Products" und Stücklisten-Versionen abgebildet werden. Auf diese Weise entsteht eine exakte Abbildung in F&O. Einzelne Versionen der Produkte und deren Verwendung in den Stücklisten können damit historisch nachvollzogen werden.

Dynamics F&O ist in der Lage, mehrere Standorte, Intercompany-Prozesse und globale Stammdaten zu verwalten. Daher beschloss das Unternehmen, die aus dem Engineering kommenden Daten in F&O einer eigenen "Engineering Company" zuzuordnen, sozusagen einem eigenen Werk für die Produktentwicklung. Damit lässt sich die Entwicklungsabteilung und deren Kostenstelle eindeutig von der Produktion trennen. In dieser "Engineering Company" werden die erstellten Stammdaten mit kaufmännischen Informationen angereichert und nochmals geprüft, bevor sie für die Nutzung in der Produktion freigegeben werden. Die Erstellung der Fertigungsstücklisten und Arbeitspläne erfolgt wie gehabt vollständig innerhalb von Dynamics F&O. 
 

Transfer der Fertigungsplanungsdaten aus 3DEXPERIENCE On Cloud nach Microsoft Dynamics 365 Business Central


Der zweite Fall beschreibt einen mittelständischen Produzenten für Fahrwerks-Komponenten. Seine Systemlandschaft besteht u.a. aus der 3DEXPERIENCE in der Cloud und dem ERP-System MS Dynamics 365 Business Central (BC). Der Kunde entschied sich für den Einsatz der DELMIA-Funktionen zur Ableitung der Fertigungsstückliste und Arbeitspläne aus der 3DEXPERIENCE-Produktstruktur, da die assoziative Verknüpfung aller Arbeitsergebnisse eine deutliche Zeitersparnis gegenüber BC verspricht. Beispielsweise werden in DELMIA die in den einzelnen Montageschritten verwendeten Komponenten aus der Fertigungsstückliste sowie die dafür benötigten Ressourcen dem jeweiligen Arbeitsschritt direkt zugeordnet, bis alle Bauteile im Produkt verbaut sind.

Im Vergleich zum ersten Fall überträgt dieses Unternehmen also seine Fertigungsstückliste sowie die Arbeitspläne von 3DEXPERIENCE nach Dynamics 365 BC. Nach der Freigabe in 3DEXPERIENCE werden sie automatisch nach BC übertragen und dort als „Released Products“, „Production BOMs“ und „Routings“ angelegt. Schließlich können die Stammdaten in BC noch angereichert und validiert werden, bevor sie für die Terminierung und Kommissionierung von Fertigungsaufträgen verwendet werden.
 
 

 

Der durchgängige Einsatz von 3DEXPERIENCE verspricht darüber hinaus weitere Vorteile, denn er ermöglicht ein durchgängiges Änderungsmanagement. Dies schließt die automatische Aktualisierung von MBOM und Arbeitsplan nach technischen Änderungen ebenso ein wie ein bereichsübergreifendes Variantenmanagement. Außerdem verspricht sich der Kunde eine bessere Zusammenarbeit zwischen Produktentwicklung und Produktionsplanung, wenn künftig alle ihre Aufgaben in derselben Anwendung und mit gemeinsamen Daten erledigen können.

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Bereits im September 2020 haben wir unter dem Titel „Die neue Offenheit der 3DEXPERIENCE® in der Cloud“ die technischen Voraussetzungen für die Integration von 3DEXPERIENCE® in the Cloud mit Unternehmensanwendungen erörtert und diese anhand von exemplarischen Integrationen zu SAP™ und JIRA™ demonstriert.
In der Ausgabe 2/2021 wurde die "Integration von 3DEXPERIENCE mit ERP-Systemen" anhand eines praxisnahen und prozessorientierten Cloud-Szenarios zur Übertragung der Fertigungsstückliste nach Microsoft Dynamics™ 365 Finance and Operations vertieft und unsere "Business Process Integration Services" kurz vorgestellt.
 

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