Schneller am Markt mit Simulation
Eine Folge dieses Trends für die IT ist der wachsende Bedarf an Rechenleistung. Für digitale Material und Funktionstests muss leistungsstarke Hardware zur Verfügung stehen, damit Methoden wie die Finite-Elemente-Analyse effizient umzusetzen sind. Das gilt für Zulieferer wie SaarGummi, die produktspezifische Nachweise beisteuern, ebenso wie für OEMs beim virtuellen Crashtest des gesamten Fahrzeugs.
Das Ziel der Autobauer ist natürlich, ihre Time-to-Market-Leistung zu verbessern. Und tatsächlich hat sich der gesamte Entwicklungsprozess deutlich verkürzt. Im Schnitt geht Nowicki heute von 21 Monaten aus, hat allerdings auch bereits Projekte erlebt, in welchen sich die Fahrzeughersteller ein Ziel von eineinhalb Jahren gesetzt haben. Branchenneulinge, die diesen Zeitraum weiter reduzieren wollten, mussten sich hingegen eingestehen, dass eine nochmals verkürzte Entwicklungszeit für die Komplexität eines Dichtungssystems im Fahrzeugbau eben doch nicht ausreicht.
Mehr Datenaustausch braucht mehr Datenschutz
Bei der Digitalisierung, so heißt es, nehme auch die Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg zu. Nowicki bestätigt dies: „Die Autobauer möchten, dass wir uns für einige Arbeitsschritte direkt auf ihr System aufschalten. Das betrifft nicht nur das Ablegen fertiger CAD-Daten, sondern auch Vorgänge wie das Verwalten oder Freigeben von Bauteilen.“ Immer häufiger spiele sich diese Zusammenarbeit unter Beteiligung bzw. anhand der Nutzung einer Cloud ab, fügt er hinzu.
Im gleichen Maße, in welchem die Automobilbauer Daten entlang vernetzter Wertschöpfungsketten anreichern, verknüpfen und verfügbar machen, intensivieren sie auch ihre Vorsorge bezüglich der Vulnerabilität dieser Strukturen. Ein Zusammenschluss der europäischen Autobauer hat dafür hohe Sicherheitsstandards beim Umgang mit vertraulichen Informationen wie z. B. Fahrzeug-CAD-Daten oder realen Prototypenbauteilen aufgelegt. Die SaarGummi-Entwicklungsabteilung war dabei durch die strengen Vorgaben in besonderer Weise gefordert und hat die Einhaltung der hohen Sicherheitsstandards schließlich durch eine Zertifizierung unter Beweis gestellt.
Zentralisierung der Daten und der Lizenzhaltung
Das Entwicklungsteam von SaarGummi macht seinen Bereich fit für den tiefgreifenden Wandel in der Branche und hat daher ein Gesamtmaßnahmenpaket auf den Weg gebracht. Ein Schwerpunkt der Aktivitäten bezüglich des Updates von IT-Architektur und Software liegt in der Zentralisierung der Daten und der Lizenzhaltung. Bis vor kurzem hatte jedes der drei Entwicklungszentren ein eigenes PDM-System und die Daten wurden jeweils über Nacht zwischen Indien, China und Deutschland synchronisiert.
Das sieht bald anders aus. Die Arbeitsumgebung in der Entwicklung wird dann weltweit zentral gesteuert. In Deutschland ist die Neuerung bereits seit Beginn 2020 produktiv. Anfang 2021 folgen die Anbindung der Entwicklungszentren in China und Indien.
SaarGummi setzt auf den virtuellen Desktop
Dr. Lukas Nowicki erklärt: „Die zu Grunde liegende Technologie nennt sich Virtual Desktop Infrastructure (VDI). Wir haben einen Master, den wir für unsere Kollegen weltweit klonen. Wenn wir Änderungen vornehmen, wie das Rollout einer neuen Anwendung, dann geschieht das in diesem Master und am nächsten Morgen findet jeder Nutzer die neue Software oder eine veränderte Einstellung exakt so an seinem CAD-Arbeitsplatz vor. Damit dies möglich ist und reibungslos bzw. verlustfrei umgesetzt werden kann, hat Christian Kast vor drei Jahren die Funktion der ′Entwicklungs-IT′ geschaffen und in meinem Verantwortungsbereich angesiedelt. So bin ich für zukünftige Anforderungen bestens gerüstet.“
Der Master bzw. das „Golden Image“ wird in einem Rechenzentrum von SaarGummi gehostet. Alle Applikationen, die den Usern zur Verfügung gestellt werden, sind dort enthalten.
Meldet sich ein/eine Entwicklungsingenieur/Entwicklungsingenieurin an seinem/ihrem PC an, wird per Video-Streaming ein virtueller Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt. Die Eingaben des Users am realen Endgerät werden auf demselben Weg übertragen – man bedient den virtuellen Rechner sozusagen mit virtueller Maus und Tastatur.
Systeme einfach pflegen, Daten sicher verwahren
SaarGummi senkt mit VDI den Aufwand für die Verwaltung der weltweiten Benutzerlandschaft in der Entwicklungsabteilung erheblich.
Ein wichtiger Pluspunkt ist zudem die Datensicherheit: „Das ′Golden Image′ befindet sich mit allen Daten und Applikationen im Rechenzentrum. Die Daten verlassen das Rechenzentrum nicht, denn der User erhält ja nur ein Abbild seiner Applikationen per Videoübertragung. Schadhafte Software, die die Sicherheit gefährden könnte, kommt gar nicht erst an die Daten heran“, erklärt Lukas Nowicki.
Das ist nicht nur ein zentrales Argument für SaarGummi, sondern auch bei der Bewertung der Partner: „VDI hat entscheidend zur Erfüllung der IT-Sicherheitsstandards beigetragen“, so Nowicki weiter.
Ortsunabhängig arbeiten – auch in der Entwicklung möglich
Und welche Erfahrungen machen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem notwendigen Internetzugang? „Mit einem Standard-Internetzugang kann man verlustfrei arbeiten“, freut sich Nowicki, „das Arbeitserlebnis ist so flüssig, als wäre man vor Ort im Büro, weil die Nutzung der VDI-Umgebung keine superschnelle Leitung voraussetzt. Die Möglichkeit, das Team ′remote′ arbeiten zu lassen, war vor allem während der Pandemie ein großer Vorteil. Nicht nur, dass wir, soweit es erforderlich war, sofort auf ′mobile working′ umstellen konnten. Es ging sogar soweit, dass wir Kunden im Notfall bei ihren Arbeitspaketen unterstützt haben.“
VDI bringt aus Sicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch weitere Arbeitserleichterungen. Sie haben eine Anwendungslandschaft, die automatisch up-to-date und synchron mit ihren Aufgaben ist. Sie können sich einfacher untereinander abstimmen oder beraten, weil alle über die gleichen Oberflächen verfügen. Und ein wertvoller Beitrag in der Kunden-Betreuung und Akquise ist: Sie haben jederzeit Zugriff auf alle für sie freigeschalteten Daten aus dem System. Davor wurden vor einem Termin alle nötigen Unterlagen im Offline-Modus heruntergeladen – in der Hoffnung, dabei alle Eventualitäten bedacht zu haben.
Nächster Schritt: Systeme integrieren und Daten automatisch updaten
Bezüglich der Effizienz der Arbeit und der Modernisierung der Arbeitsmittel in der Entwicklungsabteilung hat SaarGummi Automotive schon viel erreicht. Doch dabei allein soll es nicht bleiben.
Auf der Agenda für 2021 stehen die nächsten Meilensteine auf dem Weg zum „Single Source of Truth“-Prinzip: Es gibt jede Information nur einmal und sie wird automatisiert von System zu System übergeben und verarbeitet.
Darin sieht das Entwicklungsteam von SaarGummi ein wichtiges Verbesserungspotential: „Heute wandert dieselbe Information von System zu System oder von Excel zu Excel, mitunter händisch. Das ist zum einen aufwändig und zum anderen fehleranfällig. Bei Datenupdates durch Änderungen zum Beispiel muss eine Information in allen Systemen, die sie verzeichnet, eingepflegt werden.“
Um dies für SaarGummi Automotive zu ändern, müssen die vorhandenen Systeme integriert werden – zunächst innerhalb der Abteilung, dann in anderen Bereichen.
Diese Integrationen sind notwendig, weil es auch in Zukunft Inseln innerhalb der IT-Architektur geben wird, die im Sinne der digitalen Kontinuität zur digitalen Plattform verbunden werden müssen: „Wir setzen zum Beispiel in der Kalkulation, im Vertrieb, im Projektmanagement oder in der Qualitätsprüfung auf fachspezifische Anwendungen. An die notwendigen Schnittstellen wird bereits beim Einkauf von Software gedacht“, erklärt Nowicki.
Und die Cloud? Diese kommt, unterstützt durch neue Perspektiven, aus anderen Branchen
Bleibt die Frage, ob auch SaarGummi Anwendungen systematisch in die Cloud verlegt. „Erste Tests sind angelaufen“, verrät Nowicki, „wir sind aktuell in der Findungsphase und prüfen, welche Installationen cloud-fähig wären, für welche Prozesse es Sinn macht und was uns die Migration kosten würde.“
Diese Offenheit hat Stelios Valtzis, Director Global IT bei SaarGummi, aus seiner nachgewiesenen Erfolgsbilanz der digitalen Transformation und Arbeitserfahrung in verschiedenen Branchen wie Telekommunikation, Schifffahrt, Gesundheitswesen und Militär mitgebracht. Er sagt: „vor einigen Jahren war es in unserer Branche noch undenkbar, irgendwo außerhalb Firmendaten abzulegen.“
Für diese und andere Grundsatzentscheidungen hat Valtzis den Abteilungen als Orientierung in der digitalen Transformation ein Regelwerk an Hand gegeben, welches konkrete Vorgaben beinhaltet. Hinter all dem steht das große Ziel, innerhalb des Unternehmens zu einer globalen Vereinheitlichung mit Hilfe gewisser Standards zu gelangen.
Auf SaarLexa dürfen wir nicht hoffen…
Wenn man Nowicki zuhört, scheinen alle Herausforderungen der digitalen Transformation schon gelöst oder sie sind demnächst in Bearbeitung.
Hat er selbst noch Wünsche? „Was tatsächlich erstrebenswert wäre, ist eine künstliche Intelligenz für die Fachinhalte bei SaarGummi, also eine eigene Siri oder Alexa. Statt in Lessons-Learned-Dateien oder Wikis zu surfen, fragt der Mitarbeiter einfach bei unserer unternehmensinternen KI nach.“
Also dürfen wir im nächsten Jahr über die SaarLexa berichten? „Hier vorauszugehen müssen wir anderen Unternehmen überlassen“, winkt Nowicki lachend ab. „Unsere Pionierleistung galt der Virtual Desktop Infrastructure, für die wir erfolgreich die erste Branchen-Referenz erarbeitet haben.“