Toleranzanalyse: Von Excel zum digitalen Qualitäts-Zwilling

Wie Ihre Qualitätssicherung das Engineering und die Produktion noch effizienter macht

Veröffentlicht 03.07.2019

Wenn Fertigungsunternehmen für die Qualitätssicherung eine durchgehende Datenbasis von der Entwicklung bis zu Produktion schaffen, stärken sie damit ihre Wettbewerbsposition, wie Armin Schöne in seinem Artikel aufzeigt. Denn diese Investition verbessert die Ausgangslage, um neue Produkte bei optimaler Kostenstruktur herzustellen und schnell auf den Markt zu bringen.

Toleranzanalyse: Von Excel zum digitalen Qualitäts-Zwilling

In diesem Beitrag möchte ich Ihnen einen ersten Überblick geben, welche betriebswirtschaftlichen Nutzen sich mit einer softwaregestützten Toleranzanalyse, mit dem Konzept des virtuellen Prototypen und, darauf aufbauend, mit dem digitalen Qualitäts-Zwilling erschließen lassen.

Damit es gleich konkret wird und bevor wir uns mit den technologischen Hintergründen beschäftigen blicken wir in ein Fertigungsunternehmen, das dieses Update der Prozesse und Tools in der in der Qualitätssicherung bereits realisiert hat.

Vielversprechende Szenarien

In einem solchen Betrieb konstruiert und optimiert die Entwicklungsabteilung Bauteile in einer virtuellen Entwicklungsumgebung, die sich beim Start der Serienentwicklung durch reale Messdaten von der virtuellen Realität zur realen Virtualität wandelt.

Die Entwicklungsabteilung konstruiert und optimiert Bauteile in einer virtuellen Entwicklungsumgebung, die sich beim Start der Serienentwicklung durch reale Messdaten von der virtuellen Realität zur realen Virtualität wandelt.

Auf dieser Basis kann das Unternehmen…:

  • … die Abfolge der Produktionsschritte oder ein neues Herstellverfahren virtuell absichern – statt im Vorfeld teure und langwierige Tests mit den Produktionsmitteln durchzuführen.
  • … die Maschineneinstellungen bei Schichtbeginn auf die Bauteilmaße im Wareneingang abstimmen – statt mit den Einstellmaßnahmen erst zu reagieren, wenn Probleme auftreten.
  • … die Ursache von Fertigungsfehlern softwarebasiert ermitteln – statt mit der Trial-and-Error-Methode auszutüfteln.
  • … für Produkt-Varianten und neue Produkte die bisherigen Erkenntnisse über erreichbare Fertigungsgenauigkeit nutzen – statt immer wieder dieselben Hürden nehmen zu müssen.

Diese Aufzählung kann je nach Fertigungsumfeld unterschiedlich fortgesetzt werden. Tatsache ist: die Szenarien klingen nicht nur vielversprechend – sie sind heute bereits realistisch erreichbar. Ich kenne alle eben genannten Beispiele aus dem produktiven Einsatz und bei einigen Projekten durfte ich als CENIT-Experte für Toleranzmanagement dabei sein.

Die Machbarkeit ist gegeben. Die notwendigen Technologien sind ebenso vorhanden wie erprobte Vorgehensweisen für die Implementierung.

 

Alle müssen das Ziel verstehen

Wie gehen Sie nun vor, um eine vergleichbare Lösung in Ihrem Unternehmen zu implementieren? Meiner Erfahrung nach liegt eine zentrale Herausforderung im positiven Etablieren neuer Prozesse. Denn wie bei anderen Industrie-4.0-Konzepten verändert eine durchgehende Qualitätssicherung Arbeitsabläufe und Verantwortlichkeiten zwischen den Abteilungen. Das klappt nur, wenn alle an einem Strang ziehen.

Deswegen möchte ich meine Ausführungen so beginnen, wie ich auch in ein Kunden-Projekt starte, nämlich mit dem Hinweis, dass die Leitungsebene ein solches Vorhaben unterstützen und moderieren muss.

Es braucht die übergeordnete Perspektive des Managements, wenn sich Zuständigkeiten ändern.

Es braucht die übergeordnete Perspektive des Managements, wenn sich Zuständigkeiten ändern. Bevor der Weg zum Ziel ausgearbeitet wird, müssen alle das Ziel verstehen. Diejenigen, die Veränderung fordern, müssen auch begleitende Maßnahmen autorisieren und budgetieren können.

 

 

Digitales Engineering aus Qualitätsperspektive

Die konkreten Schritte hin zur Etablierung einer durchgehenden Qualitätssicherung werden anschaulich, wenn wir den Produktentwicklungsprozesses (PEP) mit dem Toleranzmanagement im Fokus beschreiben.

In der Konzept- und Designphase hat der Konstrukteur die Aufgabe, eine Bauteilgruppe gemäß den Anforderungen des Lastenhefts zu entwickeln. Er erstellt dazu im CAD-Autorenprogramm eine entsprechende 3D-Geometrie.

In gängiger CAD-Software lassen sich auch Toleranzen definieren. Um jedoch Konzepte für eine wirtschaftliche Herstellung zu ermitteln, die das gewünschte Qualitätslevel mit optimalen Toleranzen verbinden, setzen viele Unternehmen immer noch in erster Linie auf Tests mit realen Prototypen.

Um das vorwegzunehmen: Reale Tests sind auch in Zukunft wichtig und notwendig. Mit dem richtigen Vorgehen lassen sie sich jedoch deutlich reduzieren.

 

Toleranzanalyse: Simulationssoftware statt Excel-Formeln

Der erste Schritt, den Sie in Richtung neuer Strategien für die Qualitätssicherung gehen können, ist der Einsatz einer Simulationssoftware, die auf der Methode der statistischen Toleranzrechnung beruht.

Mit der Software können Ihre Experten Testreihen am PC durchführen. Sie bauen einen virtuellen Prototypen auf und klären damit die zentralen Fragen der Toleranzanalyse: Welche Geometrie ist für die Erfüllung einer bestimmten Anforderung überhaupt wichtig? Welchen Beitrag leistet sie für die Qualität des Produkts? Welche Geometrien sind besonders zu tolerieren? Welche sind weniger wichtig und kann man entsprechend gröbere Toleranzen akzeptieren?

Indem sie zu einem Verständnis für die Auswirkungen von Fertigungsabweichungen auf das Verhalten und die Qualität des Produkts kommen, stellen sie sicher, dass die Konstruktion die Anforderungen des Lastenhefts erfüllt und dabei wirtschaftlich optimale Toleranzen bietet.

Schneller zum Produktionsstart mit virtuellen Messdaten

Mit Abschluss der Designphase übergibt die Entwicklungsabteilung den virtuellen Prototypen samt Toleranzkonzept (Referenzsystem und Toleranzen) in die Serienentwicklung.

Auch die Serienentwicklung verläuft nun anders als gewohnt. Denn aus dem virtuellen Prototypen wird im weiteren Verlauf das virtuelle (Vor-)Produkt und das liefert virtuelle Messdaten. Die Ingenieure schlussfolgern aus den Daten, welches die kritischen Toleranzen und Prozesse der Serienfertigung sein könnten und leiten daraus die optimale Messstrategie ab.

Analog lassen sich mit dem virtuellen Produkt das Montage- und Vorrichtungskonzept erarbeiten und die Fertigungs- und Montageprozesse simulieren.

Von der virtuellen Realität zur realen Virtualität

Blicken wir vor dem Start der Serienfertigung noch einmal zurück. Zu Beginn arbeitet der Konstrukteur im CAD-Programm, das aus Sicht der tatsächlichen Produktionsverhältnisse einen abstrakten Idealraum darstellt. Er kann sich in dieser Entwicklungsumgebung nur auf seine Erfahrung stützen, um das Bauteildesign mit der Realität abzugleichen.

Mit dem Aufbau des virtuellen Produkts haben Ihre Experten die Konstruktion in eine virtuelle Realität geholt, in der sie wichtige, physikalische Verhaltensdimensionen simulieren können.

Jetzt gilt es einen Schritt weiter zu gehen. Denn mit dem Start der Serienfertigung, und schon zuvor bei der Prototypen-Fertigung und in der Vorserie entstehen reale Messdaten. 

Anhand dieser Daten kann nun der virtuelle Prototyp mit der Realität abgeglichen werden:

  • Allgemein, welche signifikanten Unterschiede gibt es zwischen virtuellen und realen Messdaten und was ist die Ursache für die Abweichungen?
  • Sind die Annahmen im Simulationsmodell zutreffend oder sind weitere/andere Faktoren zu berücksichtigen?
  • Wird das Bauteil tatsächlich so hergestellt, wie für die Simulation angenommen wurde?

Indem der virtuelle Prototyp mit der Realität abgeglichen und in Folge angeglichen wird, kommen Sie zu einem Modell, das wir als digitalen Qualitäts-Zwilling bezeichnen. Wenn Sie auf die Echtzeitfähigkeit der Verbindung von virtuellem Gegenstück und Realität verzichten, haben Sie die Vorstufe eines digitalen Zwillings, nämlich den digitalen Schatten erreicht.

Das Technologiekonzept des digitalen Zwillings als Hebel für zukunftsorientierte Geschäftsstrategien

Der digitale Qualitäts-Zwilling transformiert die Entwicklungsumgebung von der virtuellen Realität zur realen Virtualität – und das sind ganz neue Aussichten für die Produktentwicklung und Fertigungsoptimierung.

Um hier nur einige Nutzenaspekte anzuführen:

  • Ihr Unternehmen baut softwarebasiert Wissen auf, das zu besseren Analysen und Vorhersagen führt.
  • Sie erreichen eine höhere DRIFT-Quote („Do it right the first time“) und können Produkte schneller auf den Markt bringen.
  • Sie können tatsächlich beginnen, Fertigungsprozesse qualitätsbezogen zu steuern und zu regeln.
  • Als Unternehmen, das auf Innovationen in der Fertigung setzt, können Sie mit dem digitalen Qualitäts-Zwilling den positiven Return-on-Investment Ihrer Investition absichern.
  • In Zukunft auch denkbar: für die Fernwartung werden aus dem Messarchiv die Daten der Bauteilgruppen einer ausgelieferten Maschine in den digitalen Qualitäts-Zwilling der Baureihe hochgeladen, um damit auf Fehlersuche zu gehen.

Diese erste Übersicht lässt erkennen, worin allgemein die Stärke des Technologiekonzepts eines digitalen Zwillings liegt: er ist der Hebel für neue Geschäftsstrategien.

Der digitale Qualitäts-Zwilling transformiert die Entwicklungsumgebung von der virtuellen Realität zur realen Virtualität – und das sind ganz neue Aussichten für die Produktentwicklung und Fertigungsoptimierung.

Für die Zukunftssicherung Ihres Unternehmens kann der digitale Qualitäts-Zwilling also eine wichtige Rolle spielen. Damit nutzt er allen Stakeholdern im Unternehmen. Dennoch werden Sie auf viele Verteidiger des Status Quo stoßen.

Typische Reaktionen lauten zum Beispiel: Wieso sollte die Toleranzanalyse in Excel mit zweidimensional vereinfachten Modellen und Worst-Case-Szenarien nicht mehr genügen? Warum sollte die Entwicklungsabteilung in die Einführung des virtuellen Produkts investieren, wenn andere Abteilungen den Nutzen davon tragen? Warum sollte sich die Qualitätssicherung beim Messkonzept mit der Konstruktion abstimmen, wenn sie dabei bisher alleine das Sagen hatte?

Ein starkes Paar: 3D-Konstruktion und Simulation

Da sind wir wieder bei dem Mandat der Entscheider, diesen Wandel zu moderieren. Vielleicht erinnern Sie sich noch als die 2D-Zeichnung durch die 3D-Konstruktion abgelöst wurde. Heute haben wir es aus meiner Sicht mit einem ähnlich tiefgreifenden Wandel zu tun.

Die Welt der 3D-Konstruktion wird durch die Möglichkeit der Simulation ergänzt. Damit lässt sich eine realistischere virtuelle Entwicklungsumgebung schaffen.

Wo in Ihrem Unternehmen sind Prozesse, die Sie damit gerne verändern würden? Welche Geschäftsstrategie möchten Sie damit angehen?

Ich freue mich auf einen Austausch mit Ihnen! Melden Sie sich gerne für alle Fragen unter a.schoene@cenit.com oder telefonisch unter 0049/151/52745273.

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